Vorkaufsrecht des Mieters, Schadenersatzverpflichtung des Vermieters bei unterlassener Unterrichtung des Mieters über Verkauf.
Leitsatz:
Sieht der Vermieter pflichtwidrig davon ab, den vorkaufsberechtigten Mieter über den Inhalt des mit einem Dritten über die Mietwohnung abgeschlossenen Kaufvertrages sowie über das Bestehen des Vorkaufsrechts zu unterrichten, so kann der Mieter, der infolgedessen von diesen Umständen erst nach Erfüllung des Kaufvertrages zwischen Vermieter und Drittem Kenntnis erlangt, Ersatz der Differenz von Verkehrswert und Kaufpreis verlangen.
Dies gilt auch dann, wenn der Mieter sein Vorkaufsrecht nach Kenntniserlangung nicht ausgeübt hat.
BGH, Urteil vom 21. Januar 2015 – VIII ZR 51/14 – LG Hamburg, AG Hamburg-St. Georg
Sachverhalt:
Der Eigentümer und Vermieter einer vermieteten Eigentumswohnung verkaufte diese zu einem Preis von EUR 186.571,00, ohne dem Mieter Gelegenheit zu geben, das ihm nach dem Gesetz zustehende Vorkaufsrecht auszuüben. Der Erwerber bot die Wohnung kurz danach zum Kauf an zu einem Preis von EUR 266.250,00. Der Mieter entschloss sich zum Kauf und erwarb so die Wohnung zu dem Angebotspreis. Anschließend forderte der Mieter von seinem früheren Vermieter Schadensersatz in Höhe des Differenzbetrages von EUR 79.679,00.
§ 577 BGB Vorkaufsrecht des Mieters
(1)
Werden vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den
Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist oder begründet werden soll,
an einen Dritten verkauft, so ist der Mieter zum Vorkauf berechtigt.
Dies gilt nicht, wenn der Vermieter die Wohnräume an einen
Familienangehörigen oder an einen Angehörigen seines Haushalts verkauft.
Soweit sich nicht aus den nachfolgenden Absätzen etwas anderes ergibt,
finden auf das Vorkaufsrecht die Vorschriften über den Vorkauf
Anwendung.
(2) Die Mitteilung des Verkäufers oder des Dritten über
den Inhalt des Kaufvertrags ist mit einer Unterrichtung des Mieters über
sein Vorkaufsrecht zu verbinden.
(3) Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgt durch schriftliche Erklärung des Mieters gegenüber dem Verkäufer.
(4)
Stirbt der Mieter, so geht das Vorkaufsrecht auf diejenigen über, die
in das Mietverhältnis nach § 563 Abs. 1 oder 2 eintreten.
(5) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.
§ 280 BGB Schadensersatz wegen Pflichtverletzung
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von EUR 79.679,00 gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Hintergrund:
Die Beklagte hat sieben Eigentumswohnungen, die sie von ihrer Mutter geerbt hat, verkauft. Eine der Wohnungen war schon vor Aufteilung in Wohnungseigentum an die Klägerin vermietet. Die Klägerin wurde von der Beklagten weder von deren Veräußerungsabsicht noch vom Kaufvertragsabschluss unterrichtet, demgemäß auch nicht auf ein möglicherweise bestehendes Vorkaufsrecht hingewiesen.
Rund zehn Monate später bot die neue Eigentümerin der Klägerin die von ihr bewohnte Wohnung gegen Zahlung eines Preises von EUR 266.250,00 zum Kauf an. Der Preis entsprach dem, was die Erwerberin der anderen sechs Wohnungen beim vorangegangenen Verkauf erzielt hatte.
Die Entscheidung:
Der Bundesgerichtshof bestätigt in Fortführung seiner Rechtsprechung, zuletzt durch Urteil vom 15.06.2005 – VIII ZP 271/04 seine Rechtsauffassung, dass der Eigentümer und Vermieter einer vermieteten Eigentumswohnung den Mieter nicht nur über den Verkauf der Wohnung unterrichten und ihm so Gelegenheit geben muss, von seinen gesetzlichen Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen.
Unterlässt der Vermieter dies, begeht er eine Pflichtverletzung mit der Folge einer umfassenden Schadensersatzverpflichtung. Dies gelte auch dann, wenn der Mieter erst nach Umschreibung der Wohnung im Grundbuch von dem durchgeführten Verkauf seiner Mietwohnung erfahren hat und somit gar nicht mehr in der Lage war, mit Aussicht auf Erfolg sein Vorkaufsrecht geltend zu machen.
Der Bundesgerichtshof bejaht einen Anspruch auf Schadensersatz mit der Begründung, dass der Vermieter die Durchsetzung des Vorkaufsrechts schuldhaft vereitelt hat. Zwar handelt es sich bei der in § 577 Abs. 2 BGB geregelten Mitteilungspflicht nur um eine mietvertragliche Nebenpflicht und führt die Verletzung solcher Nebenpflichten nicht stets zu einem Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofes auf Seite 14 heißt es hierzu wörtlich:
„Weil das Erfüllungsinteresse der Klägerin unmittelbar durch die Verletzung der mietvertraglichen Nebenpflicht vereitelt worden ist, ist der aus der Verletzung der mietrechtlichen Nebenpflicht resultierte Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtet.“
Der Senat hat sich mit der Frage, ob sich aus dem Schutzzweck des gesetzlichen Vorkaufsrechts des Mieters Einschränkungen hinsichtlich der Ersatzfähigkeit der dem Mieter entstandenen Vermögenseinbußen ergeben, bereits im Zusammenhang mit Schadenersatzansprüchen wegen nachträglicher Möglichkeit befasst. Dabei hat er dem Zweck des in § 570 b BGB alter Fassung (heute § 577 BGB) geregelten Vorkaufsrechts den Schutz der Mieter vor spekulativen Umwandlungen von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen und deren Veräußerung an Dritterwerber zu verstärken, keine Beschränkung des Anspruchs nach § 325 BGB alter Fassung (heute § 280 Abs. 1, 3, § 283 BGB) auf den Schaden entnommen.
Kommentar:
Bei der Entscheidung fällt auf, dass die beiden unteren Instanzgerichte die Klage mit knapper Begründung abgewiesen hatten, während der Bundesgerichtshof mit einer auf den ersten Blick sehr einleuchtenden Begründung dem Schadensersatzanspruch zuspricht. Die vom Bundesgerichtshof gegebene Begründung ist außerordentlich sorgfältig und überzeugend. Sie entspricht in jeder Hinsicht dem Rechtsgefühl und zeigt, dass das Vorkaufsrecht nach § 577 BGB vom Vermieter ernst genommen werden sollte, zumal die Schadensersatzkonsequenzen – wie das der vorliegende Fall zeigt – schwerwiegend sind.
Dr. Hartmut von Rechenberg
Rechtsanwalt und Mediator