Unerwarteter Eigenbedarf drei Jahre nach Mietbeginn rechtfertigt die Kündigung (vgl. BGH 20.03.2012, VIII ZR 233/12)
Eine Kündigung von Wohnraum wegen Eigenbedarfes für einen Familienangehörigen ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Eigenbedarf zwar nur kurze Zeit nach Abschluss des Mietvertrages entstanden ist, bei Abschluss des Mietvertrages aber noch nicht absehbar war.
Sachverhalt:
In dem vorbezeichneten Fall kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 29.03.2011 das seit 2/2008 bestehende Mietverhältnis über ihr Einfamilienhaus zum 30.07.2011. Die Kündigung wurde damit begründet, dass bei Vertragabschluss nicht absehbar gewesen sei, dass ihr Enkel mit seiner Familie in dem Haus würde wohnen wollen. Er habe seinerzeit auswärts gearbeitet und wegen einer geplanten Versetzung an einen anderen Ort, sei das Haus für ihn nicht in Frage gekommen.
Erst nach Geburt der Tochter habe ein Umdenken über die zukünftige Lebensplanung stattgefunden und der Enkel habe sich entschieden, seine Karrierepläne zurückzustellen, um mit seiner Familie in der Umgebung zu bleiben.
Die Beklagten haben der Kündigung widersprochen und Härtegründe u. a. wegen nicht abgewohnter Investitionen geltend gemacht.
Die Räumungsklage hatte in allen Instanzen Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Der Kündigung steht nicht der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) entgegen. Zwar ist sie schon seit etwa drei Jahren nach Beginn des Mietverhältnisses erfolgt. Bei Abschluss des Mietvertrages war über für keinen der Beteiligten absehbar, dass ein Eigenbedarf entstehen würde.
Er ist vielmehr auf Grund einer erst nach der Vermietung eingetretenen Änderung der persönlichen Verhältnisse des Enkels der Klägerin entstanden.
Praxishinweis:
Der Eigenbedarfswunsch des Vermieters wird durch § 242 BGB begrenzt (Rechtsmissbrauch).
Ein Vermieter setzt sich zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn er eine Wohnung auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entschlossen oder zumindest erwägt, sie bald selbst in Gebrauch zu nehmen.
Folge: Er darf dem Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, die mit jedem Umzug verbundenen Belastungen nicht zumuten, ohne ihn über die Absicht oder zumindest die Aussicht begrenzter Mietdauer aufzuklären (BGH MK 09, 65, Abruf-Nr. 090720; MK 11, 45, Abruf-Nr. 103342).
Anders liegt der Fall, wenn die Gründe für den Eigenbedarf – wie vorliegend – unerwartet nach Abschluss des Mietvertrags entstehen. Persönliche Lebensumstände können sich von heute auf morgen ändern, ohne dass der Vermieter dies bei Abschluss des Mietvertrags voraussehen konnte. Hiermit muss jeder Mieter rechnen. Selbst Versicherungen des Vermieters im Vorfeld des Vertragsschlusses, ein Eigenbedarf für ein Familienmitglied komme nicht in Betracht, das einzige, was passieren könne, sei ein Verkauf des Hauses, bieten dann keinen Schutz vor künftigen Entwicklungen.
Damit ist inzident zugleich klargestellt, dass der Mieter jedenfalls in vergleichbaren Fällen nicht bzw. nicht mehr auf die frühere, an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht angelehnte Recht- sprechung der Instanzgerichte vertrauen darf, wonach der Vermieter in Anlehnung an die für Zeitmietverträge in § 564c Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB a.F. vorgesehene Höchstfrist von fünf Jahren das Mietverhältnis vor deren Ablauf nicht wegen Eigenbedarfs kündigen konnte (vgl. z.B. LG Berlin NZM 98, 433; LG Hamburg WuM 93, 677).
Finanzielle Aufwendungen des Mieters in die Wohnung (z.B. speziell maßgefertigte Einrichtungs- gegenstände) stellen – so der BGH – keine Härte i.S. des § 574 BGB dar. Will der Mieter aus beruflichen Gründen örtlich flexibel bleiben und sieht er deshalb – wie hier – bewusst von einer Mietzeitsicherung durch einen (beiderseitigen) befristeten Kündigungsausschluss ab, nimmt er das Risiko in Kauf, dass finanzielle Investitionen in die Wohnung sich im Fall einer nur kurzen Mietdauer nicht angemessen amortisieren. Das wirkt sich bei der Interessenabwägung nach § 574 Abs. 1 BGB zu seinen Lasten aus.
Nicola-Isabelle Mack
Rechtsanwältin
– Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht